Sonntag, 17. August 2014

Wie man eine Show schreibt - Teil 2 - Rezepte

Ein wichtiger Bestandteil jeder Domäne der Kunst - also auch im Showbizz ist "Kreativität". Der Rest der Welt spricht uns auch immer wieder Bewunderung über diese Eigenschaft - oder schimpft uns eben chaotische Kreativeköpfe, wenn sie/er gerade wieder die Schattenseiten unseres Unstrukturiertseinkönnens spürt. Ein paar philosophische Gedanken:

Wie gehen wir ans Showschreiben ran?

Damit eine Show gut wirkt, gibt es, wie früher schon erwähnt einige Konzepte und Regeln. Viele davon kann man in Büchern über eine beliebige Domäne der Kunst nachlesen. Also ist es doch eigentlich einfach: Elemente und Konzepte zusammenstellen und Regeln beachten, und eine garantiert gute Show steht? Leider geht es so nicht - im Gegenteil: in dieser ersten Phase versuchen wir sogar ganz gezielt, NICHT an Regeln zu denken. Warum? Weil es sonst eine langweilige Schnittmustershow gibt, die keine Emotionen weckt. Ihr habt diese schon zu Tausenden an Musikfesten gesehen: Kontermarsch - in-and-out - Schweizerkreuz, das sich dreht, In-and-out, Kontermarsch... gähn.

Bevor nun ein Dutzend Drummajor-Stöcke in Richtung meines Kopfes fliegen: Keine Frage, diese Figuren sind wichtige und gute Elemente, welche ein Showorchester draufhaben muss und die einer Show sein dürfen. Ich sage bloss, Shows, welche ausschliesslich aus einer Aneinanderreihung solcher Figuren bestehen, kannst du in die Tonne klopfen- an die erinnert sich keiner - auch nicht deine Oma. Auch wenn sich einige helvetische Marschmusik-Experten steineisern gegen Innovation wehren, der Trend geht gottseidank endlich in eine andere Richtung.

Nun heisst das nicht, dass wir bei den Boons nichts von Regeln und Konzepte halten - ganz im Gegenteil: Sobald die Show in groben Zügen steht, Prüfen wir laufend auf Regel-Fehler und bauen immer mehr der Details ein, von denen wir wissen, dass sie gut funktionieren - und brechen die Regeln auch ganz gezielt, wenn wir gute Gründe dafür haben.

Wie funktioniert eigentlich Kreativität?

Eine Frage, mit der ich mich glaube ich nun schon gute dreissig Jahre beschäftige. Erste wichtige Frage: Gibt es kreativ-begabte Menschen - also Menschen, denen es in die Wiege gelegt wurde oder kann jeder (gleich) kreativ sein?
Nun, ob es Begabung gibt oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Was ich aber belegen kann ist, dass Menschen, die nachweislich (= aus eigener Überzeugung) nicht kreativ begabt sind, wunderbare Resultate erzeugen können, wenn sie richtig an die Sache rangehen. Ist gibt also so etwas wie ein Rezept, Konzept oder Handwerk dahinter. Damit ist es aber, wie mit jedem Handwerk: Das Konzept zu kennen heisst nicht, es zu beherrschen. Es muss geübt und verfeinert werden und es dauert  vermutlich wie bei allem anderen auch gut zehn Jahre bis zur Meisterschaft.

Dieses Konzept habe ich übrigens zum ersten Mal von meinen Kompositionsprofessoren David Angel, Filmkomponist in den Universalstudios und Ed Neumeister, Starposaunist und moderner Jazzkomponist kennengelernt. Ich habe nun aber neulich herausgefunden, dass dieses Konzept universell für alle kreativen Domänen gilt - so beschäftige ich mich aktuell mit einer für mich völlig fremden Welt, in der ich mich nun seit Jahren als unbegabt behaupte - der Zeichnerei. Und tadaa... das Konzept ist das selbe. Und ich habe jüngstens ein paar spannende Bücher das Schreiben von Drehbüchern gelesen...tadaa... das Konzept ist das selbe.


Das Rezept, das Problem und die Lösungen dazu

Primzipiell gibt es beim Kreiren von etwas zwei Phasen. In der ersten Phase sind wir auf der Suche nach Ideen. Möglichst frei von Normen, Strukturen und Regeln. In der zweiten Phase wenden wir alle Konzepte und Regeln auf diese Ideen an und füllen Lücken und verfeinern sie bis zum vollendeten Werk.
Dilemma gesehen? Wir müssen alle Regeln kennen und das Handwerk in- und auswendig beherrschen, damit wir in der zweiten Phase erfolgreich sein können, aber wir müssen auch in der Lage sein uns von all diesem Wissen zu trennen, damit wir in der ersten Phase nicht nur Dinge erschaffen, die bereits da waren. Je besser wir die Regeln für Phase 2 intus haben, desto schwieriger wird es auch, sie in Phase 1 loszulassen. Schon mal gewundert, warum beinahe alle wirklich erfolgreichen Kreativköpfe Drogen konsumier(t)en? Alkohol, LSD, Canabis - heissen deshalb "bewusstseinserweiternde Substanzen", weil sie helfen, die Regelfilter und Hemmschwellen in unseren Köpfen auszuhebeln, die uns stetig daran hindern, alle Gedanken zu bewusst zu denken und auf die Ideen zu kommen, die es sonst nie in unser Bewusstsein schaffen. Aber genau DAS wollen Meister. Nicht altes nachkauen, das schon da war - sondern neue Ideen haben, die noch keiner hatte - und diese dann mit ihrem Wissen und dem Anwenden der Regeln und dem Handwerk zu Meisterwerken verarbeiten.

Bevor nun aber die Skandalpresse wittert, dass ich Drogen gutheisse oder wir uns vor unseren Showschreib-Aktionen die Birne mit irgendwelchen Pilzchen zudröhnen, möchte ich klarstellen, dass beides nicht der Fall ist. Ich zeige nur das Paradox auf, dass Kreativschaffende haben und erkläre, dass es (nebst anderen Gründen) mich nur schon aus diesem Grund nicht wundert, dass von Steve Jobs bis Charlie Parker viele erfolgreiche Kreativköpfe die beiden Welten mit Drogen zu überbrücken versucht und die wüsten Nebenwirkungen in Kauf genommen haben.

Unsere Truppe überbrückt die beiden Welten mit anderen Mitteln - man kann das "loslassen" nämlich auch trainieren - z.B. mit Theatersport, meditieren und dem stetigen Bewusstsein, wann wir nach Regeln und Normen leben und diese auch immer mal wieder mutig brechen und z.B. ein Casino ausrauben. Scherz Ende.

So, jetzt abe ma Butta bei die Fische, ne? Am letzten Sonntag haben wir uns zum ersten Showschreib-Tag in einer Turnhalle, irgendwo hinter den Bergen bei den sieben Zwergen getroffen getroffen. 

Unsere Showschreibtruppe

Wichtig ist, dass in der Showschreiber-Truppe Ideen-Menschen am Start sind. "Das-geht-nicht"-Menschen, die den Hang haben, überall Probleme zu sehen, sollten keine dabei sein - die sind hinderlich. Nun höre ich in den hinteren Reihen "ja, aber irgendwer muss Euch Kreativ-Vögel auch ein wenig am Boden der Tatsachen halten!". Das stimmt. Aber nicht hier, denn sonst bewegen wir uns nie über Mittelmass hinaus. Und Mittelmass will kein Publikum sehen.)



In unserem Falle sind das unsere 
Els van Es, Baritonsaxophonistin  mit holländischen Wurzeln, unheimlich viel Humor und immer einem ansteckenden Lachen im Gesicht.

Isabel Schacher, Posaunistin, Langzeit-Showbandlerin, Studiert nächstens Game-Design und hat ein wunderbares Faible für Jöö- und Huiiiii-Effekte

Bea Kappeler, Weit umher als "Tanzfüdli" bekannt. Sie leitet seit drülfzig Jahren Tanzgruppen und Turnvereine und fehlt an keinem Tanzworkshop dieser Welt

Jean-Luc Kühnis, Showband- und Querschleger-Gründer, der alles in Rhythmus verwandelt, was der Planet hergibt - und ein Meister der grenzenlosen Ideen und Netzerwerke

Meine Wenigkeit - Trinke gerne Kaffe und gehe der Truppe bei jeder Gelegenheit auf die Nerven. Toll, ne?

Zutaten zum Showschreiben

Wie so oft, ist das richtige Werkzeug für eine Arbeit match-entscheidend. Was brauchen wir, wenn wir unsere Shows schreiben? Na, vor allem eine geeignete Location: Turnhallen sind deshalb so praktisch, weil man Showschreiben sehr viel Platz braucht. Mattenwagen, Malstäbe und anderer Krimskrams kann bestens dazu verwendet werden, Dekopositionen zu markieren. So stecken wir als erstes immer die Showfläche 1:1 ab, damit wir nie die Grössenverhältnisse aus den Augen verlieren und das Showdesign direkt ausprobieren und beurteilen können. Des weiteren brauchts:


  • Eine mobile Soundanlage, wir haben uns mal so einen akkubetriebenen Koffer gekauft, damit wir auch an Orten proben können, wo kein Kernkraftwerk steht und trotzdem genug reindonnert, dass man sie auch in einer Dreifachturnhalle gut hört. 
  • Schreibzeuch - mindestens eine, besser zwei Personen sollten das ganze schriftlich und mit Skizzen mitdokumentieren. Beim Schreiben der Show ist allen vor Ort klar, wie der Ablauf ist. Eine Woche später, wenn wir die Show der Band erklären müssen, sind wir um diese Genickstütze dann jeweils ziemlich froh.
  • Eine gute Video-Kamera mit Stativ, mit der wir zwei bis drei Durchläufe jeweils aufzeichnen. Zugegeben, ein gutes Teil kostet mindestens einen Tausender, aber die Anschaffung ist ja sowas von zentral sowohl bei Dokumentieren wie nachher beim Proben. Dazu aber später mehr.
  • Markier-Krempel: Mattenwagen, Malstäbe, Portmonnaies, etc. mit denen wichtige Punkte am Boden markiert werden können. Dies gibt später auf dem Video gute Referenzpunkte beim Dokumentieren der Show.